Das Ruhrgebiet erlebt sein blaues Wunder. Ein großes Wort, aber tatsächlich ist es nicht weniger als eine Wiederbelebung: Nach mehr als 170 Jahren, in denen die Emscher als Europas größte Kloake galt, haben sie saubergemacht im lange stinkenden Strom. Noch ist alles im Fluss – aber kein Abwasser mehr.
Von Annika Fischer
Zu Jahresbeginn haben sich ein paar Männer in die Gummistiefel gestellt und mit ihnen in den Fluss, ein Glas Emscherwasser in der Hand. Sie haben nicht daraus getrunken, so rein, wie die Region gerade feiert, ist der Fluss nun auch wieder nicht – aber welcher wäre das in der Welt? Und eigentlich ist schon der Ort verboten: Jahrzehntelang war die Emscher eingezäunt und abgesperrt, Schilder warnten mit einem rücklings stürzenden Männchen davor, ihr zu nahe zu kommen – an gefährlichen Stellen ist das bis heute so. Und tatsächlich war der Strom, dessen Bett eine enge Betonschale war, ein reißender. Wer hier hineinfiel, hat es meist nicht überlebt.
Aber wer wollte jener Emscher auch freiwillig zu nahe kommen! Besonders im Sommer empfahl schon die Nase einen weiten Bogen, Generationen zwischen Holzwickede und Dinslaken sind aufgewachsen mit dem beißenden Geruch, der vom Wasser aufstieg. Seit 1850 war das schmale Flüsschen der Abwasserkanal der Industrieregion und aller inzwischen 2,3 Millionen Menschen, die in ihr wohnten. Aller Dreck der Fabriken, alle Fäkalien aus privaten Haushalten landeten über Zuflüsse und Bächlein, die schon lange nicht mehr fröhlich plätscherten, in der Emscher. Man nannte sie „Köttelbecke“ aus schlechtem Grund und machte Witze darüber: dass das, was im Osten des Ruhrgebiets in der Toilette verschwand, schon Stunden später im Westen zu riechen war und mindestens das Klopapier ja auch zu sehen – aber lustig war das nicht.
Man hatte den Fluss, man muss das so sagen, umgebracht und den Toten noch geschändet. Eine Bürgerinitiative klagte 1882: Der „schöne, liebliche Fluss“ sei „vollständig verschlammt und voller Morast, eine dunkle, chaotische, jauchige, stinkige Masse kriecht träge durch das Emscherbett dahin, und fortwährend aufsteigende Blasen verpesten mit ihren verderblichen Hauchen die Luft. . .“
Vorbei.
In 30 Jahren Arbeit seit 1992 hat das Ruhrgebiet seinen Dreck unter der Erde versteckt, seinen Unrat gewissermaßen tiefer und einen Deckel darauf gelegt. Und verkündete pünktlich zum Jahreswechsel einen historischen Moment: Kein Abwasser mehr in der Emscher! Es war unter den bislang wenigen guten Nachrichten des Jahres 2022 für Nordrhein-Westfalen die erste. Eine ganze Region bekommt endlich ihren Fluss zurück, sie hatte davon nicht einmal mehr zu träumen gewagt.
Natürlich ist die braune Brühe nicht weg, sondern noch da, aber sie fließt nun durch einen unterirdischen Kanal. Mehr als 50 Kilometer ist der lang, verläuft von Dortmund bis zur Kläranlage Emschermündung in Dinslaken, kurz vor dem Rhein, parallel zum künstlich begradigten Flusslauf. Auch unter den 35 Zuflüssen von Nettebach in Dortmund über Hellbach in Recklinghausen oder Ostbach in Herne wurden insgesamt mehr als 430 Kilometer Rohre verlegt. Das, erzählen die Verantwortlichen gern, entspreche der Distanz von Essen nach Paris. Entlang der Strecke sind hochmoderne Klär- und Pumpwerke entstanden. Sichtbar fließt nun nur noch Quell-, Regen- und geklärtes Abwasser, man hat seither schon erstaunte Menschen von Brücken aus neue Sichtweisen entdecken sehen: „Man kann bis auf den Grund gucken!“ Gekostet hat das alles 5,5 Milliarden Euro.
Wie die Region ihren Dreck versteckte
Möglich geworden ist das alles erst mit dem Ende des Bergbaus, der die bevölkerungsreiche Region ihre Existenz erst verdankt. Der Abbau der Kohle führte über Jahrhunderte zu Bergsenkungen, brachte den Boden unter dem Ruhrgebiet immer wieder in Bewegung. Das hat ganze Städte um viele Meter tiefergelegt, manchmal tut sich noch heute die Erde auf: Jeder unterirdische Abwasserkanal wäre zu aktiven Zechen-Zeiten unter solchen Kräften geborsten. Darum gab es lange keinen anderen Weg für den Dreck, das Abwasser musste oberirdisch abgeleitet werden.
Dafür allerdings wurde die Emscher vor mehr als 100 Jahren bereits einmal kanalisiert, damals schon eine technische Meisterleistung: Die Region hatte das Flüsschen derart zugemüllt, dass sie die Menschen mit Seuchen bedrohte, Cholera und Typhus spülte sie durch die wachsenden Städte. Der Fluss wurde vertieft, sein Bett betoniert (und wenn die Erde mal wieder nachgab, wurden „einfach“ die Deiche erhöht).
Die Idee, ihn unter die Erde zu verlegen, wie nun geschehen, lebte wieder auf, als der Bergbau nordwärts wanderte. 1991 stand der Beschluss, 2006 der Masterplan „Emscher Zukunft“, aber gleich zu Beginn der 90er-Jahre begann das Großreinemachen – und damit nicht weniger als die Wiederbelebung eines Ökosystems. Als 2018 auf der letzten Zeche feierlich „Schicht am Schacht“ war, lag der Emscher-Umbau schon auf der Zielgeraden. Bis Ende 2021 hatte das Wasser sauber zu sein, so stand es im eigens erlassenen Emschergesetz. Die Zukunft des Flusses gehört aber auch weiterhin zu den sogenannten Ewigkeitslasten des Ruhrbergbaus.
Geplant und wesentlich finanziert wurde er durch eine einzigartige Partnerschaft: In der Emschergenossenschaft, 1899 als erster deutscher Wasserwirtschaftsverband gegründet, ziehen Bergbaugesellschaften, Industrieunternehmen, vor allem aber die Kommunen entlang des Flusses an einem Strang – all jene, die mehr als ein Jahrhundert lang für die Verschmutzung der Emscher und ihrer Zuflüsse verantwortlich gewesen sind. Das 5,5 Milliarden teure Generationenprojekt unterstützt haben zu etwa 20 Prozent das Land NRW, der Bund und die EU. Wie viel Geld Europa genau zugeschossen hat, ist bislang noch nicht evaluiert worden und auch nicht leicht herauszurechnen: Die Zuschüsse kamen aus gemeinsamen Programmen mit Deutschland und Nordrhein-Westfalen. Die Städte zahlen ihren Anteil über die Abwassergebühren. Allein für den Umbau der Zuflüsse in Gelsenkirchen flossen 878 Millionen Euro.
Und was dafür nicht alles passiert ist!
Im Grunde verlagert die Emschergenossenschaft ein ganzes Flusssystem unter die Erde, während sie oben Hunderte Kilometer Park, Radwege, Auenlandschaften und Wasserspiele gestaltet. Die Renaturierung von Flüssen und Bächen ist dabei „nur“ die Kür und auch nicht überall möglich. Von Ost nach West, von außen nach innen haben sich die Macher in 30 Jahren vorgearbeitet. Entstanden sind schon jetzt Naherholungsgebiete, neue Wohnviertel, Ausflugsziele, Radwanderstrecken, man findet sie überall und endlich nicht mehr nach dem Prinzip „immer der Nase nach“.
Der Kanal
Einen Großteil der Milliarden hat die Emschergenossenschaft buchstäblich verbuddelt. Zwischen Dortmund und Dinslaken hat die Emscher nun mit dem AKE, dem Abwasser-Kanal Emscher, einen unterirdischen Zwilling – ein gigantisches Ungetüm, der das Kernruhrgebiet auf mehr als 50 Kilometern und bis zu 40 Meter tief komplett untertunnelt. Jeweils zwei Stahlbetonrohre liegen abschnittsweise zwischen Dortmund und Dinslaken unter der Erde, jeder von Zigtausenden Ringen bis zu 2,80 Meter hoch und breit und über 35 Tonnen schwer. Wie das geht, weiß man in der Region: Die Stränge wurden nach dem „Maulwurfsprinzip“ vorangetrieben, der letzte Durchbruch in Oberhausen wurde 2017 gefeiert wie einst unter Tage. Mit Steigerlied und Heiliger Barbara, Schutzpatronin der Bergleute.
Und neben dem AKE und den drei Pumpwerken, die zusammen 1,3 Milliarden Euro gekostet haben, baute die Emschergenossenschaft ja auch noch die unterirdischen Kanäle für 35 Zuflüsse. Mehr als 100 Baustellen gleichzeitig beackerte sie zuweilen, investierte in der Hochphase fünf Millionen Euro am Tag. Seitdem der letzte Deckel dicht ist, gilt der AKE als „Hauptschlagader des Abwassers“. Die Ingenieure nennen ihn auch gern „Abwasser-Autobahn“, obwohl von Tempo keine Rede sein kann. Mit vier Stundenkilometern dümpelt der Dreck Richtung Rhein, unsichtbar, unriechbar. Der stinkende Teil des Stroms ist für immer versenkt.
Die Pumpwerke
Erschwert haben die Arbeit allerdings die Verwerfungen des Ruhrgebiets und das geringe Gefälle zwischen Holzwickede und Dinslaken: Der zentrale Abwasserkanal Emscher käme an der Mündung in 80 Metern Tiefe an – und man kann Vater Rhein ja schlecht auch noch tieferlegen. Also muss der unterirdische Fluss, gewissermaßen der „Hades“ des Reviers, auf seinem gut 50 Kilometer langen Weg dreimal angehoben werden. In Bottrop, Gelsenkirchen und Oberhausen sind deshalb drei riesige Pumpwerke entstanden, jede reicht so tief in den Grund, dass man ganze Mietshäuser darin versenken könnte.
Zweimal 233 Stufen führen allein in Oberhausen hinunter, unten ist es ohrenbetäubend laut. Was niemand hört, aber auch niemand riecht: Abluft-Reinigungsanlagen ziehen die stinkende Luft aus dem Kanal, bevor sie die Atmosphäre erreicht. Das Wasser, das etwa in Bottrop ankommt, ist ja vorher schon im halben Ruhrgebiet gewesen. Was zudem auch unterhalb der oberirdischen Zweckbauten keiner mehr sieht: Unter der Erde verstecken sich Saugraum, Trockenwetter- und Regenwetterkammer, die Pumpen ganz unten, die Motoren darüber, meterlange Stahlwellen. Und zehn Rohre, die „Förderstränge“ heißen, 90 Zentimeter Durchmesser für den Tag, zehn Zentimeter weniger für die Nacht, wenn das Revier weniger Wasser lässt.
Dieses Oberhausener ist ein „einmaliges System“, moderner noch als die schon fertigen Schwestern in Bottrop und Gelsenkirchen und ohne Beispiel: Zu gucken, „wie haben andere es gemacht, geht nicht“, hat Projektleiter Reiner Tatus einmal gesagt. Alle drei Pumpwerke sind größer als fast alle anderen Werke in Europa, das Oberhausener ist Deutschlands größtes. Allein seine zehn Pumpen schaffen eine maximale Durchfluss-Leistung von 16.500 Litern pro Sekunde. Hier wird das Dreckwasser ein letztes Mal angehoben und in den neuen Kanal umgeleitet.
Die Klärwerke
Aber natürlich kann nicht alles Emscherwasser in den Kanal umgeleitet werden – dann würde der Fluss trockenfallen und ganz verschwinden. Damit das also nicht passiert, wird das Abwasser an vier großen Klärwerken gereinigt und wieder in das Flussbett geleitet, das auch vom Regenwasser gefüllt wird. Die Emscher fällt dadurch dennoch etwas schmaler aus als ohnehin schon, dafür ist ihr Wasser aber klar.
Das erste Klärwerk steht seit 1994 in Dortmund, bekommt derzeit eine von der EU vorgeschriebene vierte Reinigungsstufe. In Bottrop wurde 2021 die weltweit größte Anlage für solarthermische Klärschlammtrocknung (STT) eingeweiht. Beim Reinemachen der Emscher helfen hier „Schweine“, indem sie den Klärschlamm trocknen, wie der Name schon sagt. Manfred und Winfried heißen sie, Norbert und Hans-Georg – nach den Ingenieuren, die an der Entwicklung beteiligt waren.
32 dieser „Schweinchen“ wühlen in Deutschlands erster energieautarker Großkläranlage im stinkenden Dreck. Auf 60.000 Quadratmetern, die von weitem aussehen wie Gewächshäuser, trocknet sich der Schlamm des Flusses bei bis zu 50 Grad zumindest teilweise selbst, über dem Glasdach hilft die Sonne mit. Die „Schweinchen“, kleine rollende Maschinen, wenden den 30 Zentimeter hohen Matsch. Vorher wurde der Schlamm mit Kohle etwa aus Kolumbien verbrannt, nun werden 220.000 Tonnen Biomasse im Jahr aus den Faulbehältern der Kläranlage nach dem Trocknen fast klimaneutral verbrannt. Das „Hybridkraftwerk Emscher“, mit Windkraft, Blockheizkraftwerk, Photovoltaik trägt sich energetisch selbst, insgesamt können jährlich bis zu 70.000 Tonnen CO2 eingespart werden. Der Emscher-Umbau war und bleibt immer ein technischer Wettlauf mit dem Klimawandel.
Nicht nur die deshalb ständig erneuerten Anforderungen hielten die Arbeiten immer wieder auf. Und wie auf jeder Baustelle aber wurde es zum Schluss knapp – und eine knappe Milliarde teurer. Kampfmittelfunde waren ein weiterer Grund, der Boden des Ruhrgebiets ist noch voll von Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg. Genehmigungen fehlten oder kamen nur langsam, die Ruhrkohle AG legte ein neues Grubenwasserkonzept vor, dann stelzte sich die seltene Wasserralle dem Emscher-Umbau in den Weg. Kurz vor Jahresende 2021 fehlten Holzverschalungen und Teile für die Steuertechnik: nicht lieferbar wegen der Pandemie. Die hatte auch die Einreise von Arbeitern aus anderen EU-Ländern zwischenzeitlich gestoppt.
Im letzten von 30 Projekt-Jahren gab die Emschergenossenschaft trotzdem das meiste Geld aus: 700 Millionen Euro. Und wurde nach einem hektischen Schlussspurt doch noch rechtzeitig fertig. Sauberes Flusswasser marsch!
Der Fluss ist sauber – aber das ist noch nicht alles
„Jetzt wird alles blau, grün und schön.“ Ein Lieblingssatz von Prof. Dr. Uli Paetzel, den der Vorstandsvorsitzende der Emschergenossenschaft gern und immer wieder sagt, seit das Abwasser aus der Emscher ist. Nur ist „blau“ und „grün“ noch nicht die ganze Wahrheit: „Der Fluss“, hat Mechthild Semrau, Ökologin in Diensten der Genossenschaft, schon im vergangenen Jahr gemahnt, „ist nicht fertig, wenn die Bagger weg sind. Dann geht es erst los mit der Entwicklung.“
Denn nur, weil das Wasser wieder sauber ist, springt der Fluss noch nicht fröhlich zurück in sein altes, kurvenreiches Bett. Das gibt es nicht mehr, es wurde vertieft und in gradlinigen Beton gegossen, seine Ufer wurden „Fahrbermen“ und gemäht, seine Gestade eingezäunt. Ganze Bäche sind aus den Städten schlicht verschwunden. Die Emscher selbst ist auf allen Karten auch heute noch ein Strich in der Landschaft.
Nun ist die Lage so wie überall, wo die Industrie weicht oder nicht mehr gebraucht wird: Die Natur holt sich das Land zurück und das Wasser auch. Baum und Strauch, Birken und Brombeeren zuerst, überwuchern die Wunden des Emschertals, nur können sie manchmal nur mühsam kaschieren, was der Mensch dem Flüsschen angetan hat. Weshalb der Mensch ihm helfen muss beim Gesunden.
Renaturierung
Um sie zu „heilen“, haben Experten die Emscher bei Dortmund-Deusen in fünf Abschnitte eingeteilt, gleich unterhalb des Klärwerks hinter dem Dortmunder Hafen, wo aus dem Bach überhaupt erst ein Fluss wird. Auf jedem Stückchen probieren sie nun etwas anderes: Nahmen die Sohlschalen heraus, formten Buhnen, weiteten das Bett, verbreiterten steile Ufer zu winzigen Auen, senkten und gruben ab oder versuchten alles gleichzeitig, dass der Fluss etwas in Schwung gerate… Und gucken nun, was die Emscher anstellt mit ihrer neuen Freiheit.
Das, was passiert auf der Versuchsstrecke, soll Blaupause werden für andere Abschnitte. Es gibt ja keine Vorbilder für die Renaturierung eines ganzen Flusses, weltweit nicht. Noch ist die Wassergüte optimierbar, aber für die Ökologen sind die Naturbeobachtungen an diesem Fluss, an dem es keine Natur mehr gab, ein Fest. Kiebitze und Uferschwalben, Nutrias, Enten und viele Wirbellose sind schon eingezogen, Pfauenaugen, Prachtlibellen. Es wachsen Spitzwegerich und Fingerkraut, Engelwurz und Goldrute, es blüht das Springkraut, das die Menschen die „Emscher-Orchidee“ nennen. „Vieles ist neues Leben, das zurückkommt.“ Mechthild Semrau nennt es die „Besiedelung“. Die Artenvielfalt an der Emscher, Vögel, Insekten, Fische (unter ihnen die Emscher-Groppe) hat sich seit Baubeginn bereits verdreifacht.
300 bis 400 Millionen Euro im Jahr sollen künftig in die Renaturierung investiert werden, mindestens im laufenden Jahrzehnt. Parallel zum Kanalbau sind bereits 150 Kilometer Bachläufe renaturiert worden. In Dortmund, Oberhausen, Castrop-Rauxel wachsen, im wahren Wortsinn, ganze Auen-Landschaften. Rund um das Pumpwerk Oberhaus grasen schon Kühe und Pferde im Bruch.
Es mag sein, dass der Fluss hier und da zuwuchert, doch vorerst will die Emschergenossenschaft nicht großartig eingreifen. Es kann noch viel geschehen bis 2030, neue Gesetze, Richtlinien, weitere Bergsenkungen… „Einen Endzustand“, vermutet Emschergenossenschafts-Sprecher Ilias Abawi, „gibt es wohl nicht. Eher ist es ein endloser Zustand.“
Hochwasser
Das Hochwasser vom Juli 2021 hat gezeigt, dass die Emscherregioin noch besser geschützt werden muss. Der Hochwasserschutz wird also ausgebaut, 60 Kilometer Deiche entlang der Emscher weitere 140 Kilomater an den Zuflüssen werden erhöht oder ertüchtigt, überall entstehen mehr Überlauf-Flächen. 500 Millionen Euro insgesamt sollen Maßnahmen, die Überflutungen verhindern, kosten. Und das Emschertal zugleich noch schöner machen. Größere Auen kühlen die Umgebung, nehmen Stickstoff aus der Luft.
Ein Fluss für die Menschen
In Dortmund gibt es längst ein Beispiel für das, was geht mit der neuen, alten Emscher. Als der Stahl in der Stadt unterging, sollte er es in einem See tun. Im Sumpfgebiet der Emscher gab es früher schon Teiche, nun entstand auf ehemaligem Hüttenwerks-Gelände der Phoenix-See, gewissermaßen ein Hochwasserrückhaltebecken in Schön. Die renaturierte Emscher fließt freundlich an ihm entlang. Heimatforscher Willi Garth, früher selbst im Werk beschäftigt, erinnert sich noch an „Ruß, Dreck, Lärm, schwere Arbeit“. Und nun: „Fahre ich hier auf kristallklarem Wasser, unter mir sind Fische.“
Nicht nur Garth erinnert sich noch an den Tag, an dem das Wasser begann zu strömen: „Das war ein Moment! Ich hatte die Emscher nie frei fließend gesehen.“ Das Hochwasser vor einem Jahr allerdings hat es damit ein bisschen übertrieben: Da liefen Emscher und Hörder Bach über und in den See, der damit seine Funktion erfüllte: 100.000 Kubikmeter Wasser nahm er auf.
Das Dortmunder ist nur ein Projekt ist nur eines von vielen am Emscherstrand, einige sind in der Mache, manche noch Wunschträume. 130 Kilometer Radwege, einst noch gar nicht mitgeplant, sind schon fertig, viele weitere sollen es werden. Der Emscherradweg ist nur der größte von ihnen. Zwar wird der Fluss auf weiten Strecken eingezäunt bleiben müssen, aber wo es geht, soll sein Ufer geöffnet werden für die Menschen. Und die sollen an der Planung intensiv beteiligt werden. Auf der Stadtgrenze zwischen Dortmund und Castrop-Rauxel ist nach Bottrop ein zweites Hotel in ausgedienten Kanalrohren entstanden, in den Emscherbruch bei Recklinghausen könnten Wildpferde ziehen, vier Emscherhöfe an der Quelle, der Mündung, in Castrop-Rauxel und Bottrop sollen Touristenziele werden. Am Bernepark übrigens wird ein Stück „Köttelbecke“, wenn auch ohne Köttel, also trockengelegt und gereinigt, übrigbleiben – Betonwannen als Denkmal.
Und dann braucht die Emscher- auch eine Winzergenossenschaft: Nach einem ersten, kaum 100 Stöcke starken Weinberg am Phoenix-See („Neues Emschertal“) wuchs schon bald ein zweiter an der einstigen Köttelbecke – und nun sind weitere Wingerte bei Castrop-Rauxel und Herne in Planung. „Emscher-Südhang“, wie man jetzt wie selbstverständlich sagt.
Aber auch die Kunst wächst und gedeiht am Emscher-Ufer: Auf einem 30 Kilometer langen Streifen zwischen Emscher und Kanal – manche nennen ihn „Emscher-Insel“ – eröffnete die Kulturhauptstadt 2010 den Skulpturenpark Emscherkunst. Ein Freilichtmuseum, der Kulturhauptstadt größtes Kunstprojekt, mit Werken aus der ganzen Welt, die sich mit dem Thema Wasser beschäftigen. „Hier rechnet man nicht mit Kunst”, sprach der damalige NRW-Kulturstaatssekretär, „wenn man sich überhaupt hierher begibt.“ Inzwischen tun es viele, meist mit dem Rad. Erst kürzlich ist, passend, eine neue Skulptur hinzugekommen: Die Installation der Künstlerin Nicole Wermers am Duisburger Rheindeich besteht aus lauter Fahrrädern und heißt „Emscher Folly“.
Was noch kommt
Und die Bagger, um die es eben ging, baggern ja noch: Der letzte große Durchbruch kommt in diesem Herbst. Der Rheindeich wird geöffnet und die Mündung der Emscher verlegt, auf dass sie zukünftig durch ihre neue naturnahe Aue, das „Emscherdelta“, in den Rhein fließt. Und auf dass die Fische flussaufwärts schwimmen können. Die werden bislang bei diesem Ansinnen noch gestoppt von einem Wasserfall an Beton.
Auch hier entscheidet fortan die Natur, was wächst. Es gibt aber auch ein Modellprojekt, das Gemüse anbaut mit Wärme, Wasser und Nährstoffen aus Abwasser. Tomaten vom Klärwerk? Die Ökologen ahnen es: „Die Emscher wird immer nährstoffreich bleiben.“
Bis 2027 soll sie, so sieht es die EU-Wasserrahmenrichtlinie vor, in einem „guten ökologischen Zustand“ sein. Dann nämlich präsentiert sich die auf Blau und Grün gekrempelte Industrieregion der Welt mit einer Internationalen Gartenausstellung. Derzeit wird allerorten geplant: Dortmund will mit „Emscher nordwärts“ eine Brücke schlagen vom Hafen zu den Feldern im Norden; Gelsenkirchen, das schon vor Jahren seinen Nordsternpark zwischen Emscher und Kanal pflanzte, macht daraus bis zur IGA eine „Zukunftsinsel“ mit „Zukunftsgarten“. Es wird eine „Blaue Insel“ im Grünen.
Überall im Emscherbruch, in Castrop-Rauxel, Recklinghausen, Herne, Herten, wird geplant, gebaut, renaturiert. Alles ist im und am Fluss, ob Emscherland, Emscher nordwärts, „Neue Freiheit Emscher“: Hier arbeiten die Städte Bottrop und Essen an ihrer gemeinsamen Stadtgrenze an einem Megaprojekt, allein für die Entwicklung neuer Verkehrsachsen sind Investitionen von fast 277 Millionen Euro geplant. Ein Gewerbeboulevard, eine Umwelttrasse und ein neuer Autobahnanschluss an der A 42 sollen entstehen.
„Wasserwirtschaft“, fasste der Vorstandsvorsitzende der Emschergenossenschaft Paetzel kürzlich zusammen, „ist mehr als nur Abwasserreinigung.“ Sie ist gelebter Umweltschutz, Städtebau, Freizeit- und Kulturförderung. Aber auch, wenn nun kein Abwasser mehr hineinfließt, bleibt die Emscher ein urbaner Fluss. Was bedeutet, Renaturierung hin oder her: Zum Schwimmen wird sie wohl nie freigegeben werden. Außer für Enten.
Annika Fischer (Jahrgang 1971) ist Reporterin der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) im Ruhrgebiet, die zur Funke Mediengruppe gehört. Sie schreibt seit vielen Jahren aus dem und über das Ruhrgebiet. Zum offiziellen Abschluss des Emscher-Umbaus 2021 für die Region ein Jahrhundertprojekt, verantwortete sie eine Serie zum Thema. Dieser Text enthält teilweise Auszüge aus ihrer Berichterstattung.
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Annika Fischer (Jahrgang 1971) ist Reporterin der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) im Ruhrgebiet, die zur Funke Mediengruppe gehört. Sie schreibt seit vielen Jahren aus dem und über das Ruhrgebiet. Zum offiziellen Abschluss des Emscher-Umbaus 2021 für die Region ein Jahrhundertprojekt, verantwortete sie eine Serie zum Thema. Dieser Text enthält teilweise Auszüge aus ihrer Berichterstattung.