Von Joel Springstein und Isa Klinger
Die Humboldt-Rede des derzeit amtierenden Außenministers der Republik Polen vor Studierenden der Humboldt-Universität und vielen weiteren Interessierten trug den Titel „Eine starke, demokratische und effiziente Union. Polens Vision eines sich vereinigenden Europas.“ Schnell wurde klar, dass laut Czaputowicz Polens Vision aus einer auf wirtschaftlicher Zusammenarbeit beschränkten Union souveräner Einzelstaaten besteht.
Vision für Polen
Für diese Vision finde sich dem Außenminister nach in der polnischen Gesellschaft eine breite Akzeptanz. Diese Akzeptanz gründe sich darauf, dass der Nutzen der Europäischen Union wirtschaftlich unmittelbar spürbar sei. Laut Czaputowicz sollen Handelshemmnisse deswegen weiter abgebaut und der EU-Haushalt erhöht werden. Hierbei spreche er auch für die wirtschaftlich und infrastrukturell vergleichbaren osteuropäischen Partner Polens. Die nach der Rede gestellten Fragen polnischsprachiger Studierenden ließen allerdings ernste Zweifel an der vermeintlich breiten gesellschaftlichen Akzeptanz dieser Vision aufkommen. Kernstück der Rede blieben Czaputowiczs theoretische Ausführungen zur Aufteilung von Souveränität zwischen den Mitgliedstaaten und der EU. Seiner Meinung nach bestehe hier eine Unwucht, die Konfliktpotential birgt. Czaputowicz ließ keine Zweifel daran aufkommen, dass es seiner Meinung nach die europäischen Institutionen sind, die in diesem Konflikt nachgeben sollen. Das Thema, das in der Rede keine Erwähnung fand – der Zustand der Rechtsstaatlichkeit in Polen – wurde dafür umso vehementer in der anschließenden Diskussion zur Sprache gebracht. Der Außenminister wies die Kritik als haltlos zurück. Wo er dies nicht direkt tat, wies er mit dem Finger auf Frankreich und Deutschland, die seiner Meinung nach kein Recht hätten, Anschuldigungen zu äußern. Allerdings bestätigte er, dass das Urteil des EuGH, welches das Herabsetzen des Rentenalters am polnischen Verfassungsgericht als europarechtswidrig einstuft, befolgt werden würde. Natürlich treten die illiberalen Standpunkte der PiS-Partei nicht erst in dieser Humboldt-Rede zu Tage. Zentral ist daher die Frage, ob die Einladung von Gästen wie Jacek Czaputowicz für das Projekt und die Ziele der Humboldt-Reden erforderlich oder angemessen sind. Wird so nur eine Bühne geboten, die geschickt ausgenutzt werden kann? Wie kann ein solches Ausnutzen gegebenenfalls verhindert werden? Und worin liegt der richtige Umgang mit Rednerinnen und Rednern, deren Vision für Europa eine andere ist?
Die Stärke europäischer Meinungsfreiheit
Festzuhalten ist zunächst, dass die Humboldt-Reden zu Europa das Ziel haben, den gegenwärtigen Stand des europäischen Projektes einzuschätzen und Ideen für dessen zukünftige Entwicklung zu erörtern. Hierfür ist ein vielschichtiges Meinungsbild zwingend notwendig und entsteht auch zwangsläufig durch die verschiedenen eingeladenen Persönlichkeiten, die, selbst wenn sie der gleichen Partei angehören, ihre individuelle und aus ihren eigenen Erfahrungen gewachsene Auffassung besitzen. Ein Gast wie der polnische Außenminister muss als Teil dieser erwünschten Vielfalt verstanden werden. Festzuhalten ist auch, dass die Europäische Union durch die Freiheiten, die sie ihren Bürgern ermöglicht, geprägt wird und in einem offenen, aber meinungsstarken Umgang mit illiberalen Akteuren die Stärke europäischer Meinungsfreiheit bewiesen werden kann. Wie gestaltete sich also der Meinungsaustausch zwischen Czaputowicz und den Zuschauerinnen und Zuschauern? In der auf die Rede folgenden Diskussion brachten polnischsprachige Studierende mehrfach den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in Polen zur Sprache. Czaputowicz reagierte laut und ungehalten. Dies tat er, obwohl die Fragen höflich und zurückhaltend gestellt wurden. Der Außenminister kanzelte ab und fand dafür unter seinen Unterstützern lautstarke Zustimmung. Dieses Verhalten ist einem wirklichen Dialog abkömmlich, entlarvt den Redner allerdings umso mehr. Zu erwarten, dass Czaputowicz von seinen Überzeugungen abgebracht wird, ist illusorisch, allerdings könnten unter den Zuschauern durchaus Personen gewesen sein, die gerade dieses Verhalten zum Umdenken anregt. Zum Ende der Diskussion erläuterte Professor Ruffert den Teil der Aussagen des Außenministers, die sich auf das deutsche Justizsystem bezogen. Des Weiteren wurde unmittelbar im Anschluss in einem europarechtlichen Seminar die Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn in kleinerem Kreis thematisiert und die Aussagen des Redners in einen Kontext gesetzt. Was lässt sich also aus der Humboldt-Rede des polnischen Außenministers für zukünftige Humboldt-Reden lernen? Unserer Meinung nach ist es wichtig, Rednern wie Jacek Czaputowicz mit den Humboldt-Reden weiterhin ein Forum zu bieten, denn auch ihre Visionen gehören zur gegenwärtigen Situation des europäischen Projektes und werden die Zukunft der Europäischen Union mit beeinflussen. Ebenso wichtig sind aber die kritischen Bemerkungen Studierender und anderer Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Anschluss: Wer die Bühne der Humboldt-Reden (aus)nutzt, der muss sich auch in der anschließenden Diskussion zu behaupten wissen.
Dieser Kommentar spiegelt die persönlichen Auffassungen der Autoren wider und steht in keinem Zusammenhang mit dem Walter-Hallstein-Institut.
—
Isa Klinger studiert im 7. Semester Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und befindet sich gerade im Erasmus-Aufenthalt in Lissabon. Joel Springstein studiert Jura im 5. Semester und arbeitet als Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Verwaltungsrecht und Europarecht der Humboldt-Universität zu Berlin.