Was der niederländische Finanzminister sich von Deutschland wünscht

Wopke Hoekstra entwirft in seiner Humboldtrede das Bild einer EU, die in der Krise steckt – und sagt: Deutschland solle mehr Vorschläge für die Zukunft der Union machen.
Sarah Maria Brech

Von Sarah Maria Brech

Wenn ein niederländischer Politiker sich ausdrücklich – und ausgerechnet – von Deutschland mehr Einmischung in die europäische Politik wünscht, so ist das schon ungewöhnlich. Der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra hat genau das bei seiner Humboldtrede zu Europa in der Berliner Humboldt-Universität getan. „Ein neues und besseres Europa“ war sie überschrieben und enthielt folgendes Zitat: „Ein ehemaliger Kollege im niederländischen Senat sagte einmal zu mir: Deutschland wäre eigentlich am liebsten eine Art große Schweiz: sich in nichts einmischen und ‚live happily ever after‘. Und ich verstehe das. Aber dafür ist Ihr Land einfach zu groß und zu wichtig. Ich würde es deshalb begrüßen, wenn Deutschland seine Zurückhaltung auf diesem Gebiet (Geopolitik, Anm. d. Red.) ablegen würde. Die Niederlande stehen als Nachbarland, Partner und guter Freund gern an Ihrer Seite.“

Deutschland hat eine besondere Verantwortung

Vor allem in den Niederlanden machte dieser Vorstoß Schlagzeilen. Bislang war Hoekstra auf europäischer Ebene als Kopf der „Hansegruppe“ aufgefallen, einer Allianz von kleineren und mittleren nordeuropäischen EU-Ländern, die sich für eine liberalere Wirtschaftspolitik einsetzen. Er führte unter anderem die Opposition gegen die von Frankreich und Deutschland vorgebrachte Idee eines eigenen Haushalts für die Eurozone an. Warum jetzt diese Forderung an Berlin? Deutschland und die Niederlande teilten viele gemeinsame Werte, erklärte er im Interview mit „Wir sind Europa“. Deutschland solle auch auf anderen Gebieten als dem der Sicherheitspolitik mehr Vorschläge für die Zukunft der EU machen. In seiner Humboldtrede zeichnete Hoekstra das Bild einer EU, die noch nicht ganz im 21. Jahrhundert angekommen und vielen aktuellen Herausforderungen nicht gewachsen ist. Die Union konzentriere sich, kurz gesagt, zu sehr darauf, Geld umzuverteilen – also auf die Kohäsionspolitik und die Subventionierung der Landwirtschaft – und vernachlässige andere Bereiche. Hoekstra plädierte dafür, stattdessen mehr Geld in die Forschung und die Entwicklung neuer Technologien etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz zu stecken.

Sorge um Europa

„Ich mache mir ganz grundsätzliche Sorgen um Europa“, sagte er später im Interview. Es gelte, Probleme zu lösen, die außerhalb des Kontinents entstünden, uns aber trotzdem beträfen. Die geopolitische Lage habe sich verändert. Und die bittere Wahrheit sei, „dass Europa sich ohne die Hilfe der USA nicht verteidigen kann.“ Der Christdemokrat Hoekstra plädiert nicht für eine gemeinsame europäische Armee, wohl aber für eine bessere militärische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten untereinander – und dafür, dass die europäischen Nato-Mitglieder ihren Beitrag zum Bündnis leisten. Gemeinsam angehen müsse man außerdem die Themen Erderwärmung und Migration. „Unser Kontinent steht zwar hinter dem Klimaabkommen von Paris, ist aber dennoch außerstande, sich zusammenzutun und zu kooperieren bei einem der maßgeblichen Zukunftsthemen: der Erderwärmung. Deutschland und die Niederlande tun unabhängig voneinander einiges, wenn es um Energie, Klima und Nachhaltigkeit geht, merkwürdigerweise geschieht dies aber nicht grenzüberschreitend. Eine schmelzende Eisscholle kümmert sich aber nicht um Grenzsteine in Neuschanz oder Bunde“, sagte Hoekstra in seiner Rede. Im Interview plädierte er außerdem dafür, CO2-Emissionen teurer zu machen, zum Beispiel über eine Flugsteuer.

Wopke Hoekstra hielt seine Rede vor Studierenden, Politikern und Experten im Senatssaal der Humboldt-Uni. (Fotos: Mike Wolff)

Geht es nach Hoekstra, müssen Länder, die den Rechtsstaat aushöhlen oder sich grundsätzlich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, in Zukunft härter bestraft werden – im äußersten Fall sogar mit dem Ausschluss aus dem Schengenraum. Und: Wer mit europäischen Geldern schlecht wirtschafte, sollte keine mehr beziehen dürfen. „Die EU ist auf eine weitere Finanzkrise schlecht vorbereitet. Die Schulden sind zu hoch, und die wirtschaftlichen Reformen gehen viel zu langsam voran.“ In einigen Teilen ähnelt Hoekstras Vision der EU derjenigen, die der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte vor einem Jahr ebenfalls in Berlin entworfen hatte: Auch der Liberale forderte, die Union müsse sich auf die Themen konzentrieren, für die sie unverzichtbar sei und die Agrarsubventionen und die Unterstützung strukturschwacher Regionen zurückfahren. Es war die erste große Europarede Ruttes seit seinem Amtsantritt vor inzwischen mehr als acht Jahren. Ähnliche Ideen hat er seitdem mehrfach formuliert. Natürlich gibt es in den Niederlanden noch andere Visionen als die eher nüchterne der beiden Regierungspolitiker. Insgesamt elf Parteien – darunter Ruttes VVD und Hoekstras CDA – haben eine realistische Chance, bei der heutigen Europawahl mindestens einen der niederländischen Sitze im Europaparlament zu ergattern. Das Spektrum reicht von Europabegeisterung bis zur Forderung nach dem „Nexit“.

Sarah Maria Brech ist Journalistin in Berlin und Mitglied der Basisgruppe von „Wir sind Europa“. Fotos: Mike Wolff Die vollständige Humboldtrede zu Europa von Finanzminister Wopke Hoekstra können Sie hier nachlesen.

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