„Attacken auf Gerichte zerstören das Fundament, das uns trägt“

Katharina Krüger

„Werden Gerichte angegriffen, ist eine rote Linie überschritten“, sagt Susanne Baer. Die Richterin des Bundesverfassungsgerichts warnt vor Populismus.

Von Katharina Krüger Die Richterin des Bundesverfassungsgerichts, Susanne Baer, hat vor einer Demontage der Verfassungsgerichte in Polen, Ungarn und Rumänien gewarnt. In ihrer Humboldt-Rede zu Europa in Berlin (Video) sagte Baer: „Jedes Verfassungsgericht, das seinen Namen verdient, hat auch Gegenwind. Aber es ist etwas völlig anderes, wenn es um Attacken und Zerstörung geht. Da wird eine rote Linie überschritten und erodiert ein Fundament, das uns alle trägt.“ Die Attacken seien Teil eines weltweiten, besorgniserregenden Trends, sagte Baer. Dazu gehörten der Populismus, „auch als kruder existentialistischer Nationalismus“, und die Verachtung der Institutionen. „Es sind aber auch und gerade Attacken der Rechten auf Rechte.“

„Hier geht es um Menschen“

Es sei kein Zufall, erklärte Baer weiter, dass Gerichte zuerst angegriffen würden, denn sie könnten die anderen davor schützen, ins Schlingern zu geraten. „Wir müssen deshalb den Angriffen auf unabhängige Gerichte entschieden entgegen treten“, sagte Baer. Hier stehe die „im Miteinander austarierte Freiheit auf dem Spiel“. „Wenn diese rote Linie überschritten wird, leiden Menschen.“ Baer verwies auf die Proteste von Zehntausenden Polen und Rumänen gegen die Justizreformen in ihren Ländern. In solchen Momenten werde deutlich: „Hier geht es nicht um abstrakte Ideen und Werte, nicht um einen abstrakten Rechtsstaat, hier geht es um Menschen.“ Was in Warschau, Budapest und Bukarest geschehe, sei nicht das Problem der Anderen.

„Europa als Rechtsgemeinschaft verteidigen“

Mit Blick auf die Weigerung Ungarns etwa, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Verteilung der Flüchtlinge zu akzeptieren, sagte Baer: „Das ist brandgefährlich, nicht nur für die Schutzsuchenden ganz konkret, sondern für uns auch. Denn wird die Weigerung akzeptiert, gerichtliche Entscheidungen umzusetzen, an die man sich vorher gebunden hat, die einem dann aber politisch nicht passen, zerstört dies das Recht, das Fundament.“ „Europa ist die rechtsstaatliche Region der Welt“, sagte Baer. „Aber das entlastet uns nicht. Wir müssen Europa als eine Gemeinschaft verteidigen, die sich an das Recht gebunden fühlt.“ Das beginne im Alltag eines jeden Einzelnen: „Ich darf mir nicht zu schade sein zu erklären, was Europa konkret vor Ort als Erfahrungsdimension bedeutet. Ich muss dabei auch Leuten entgegen treten, die mir nicht zuhören wollen. Ich muss meine Komfortzone verlassen.“ — Katharina Krüger ist freie Journalistin und Projektmanagerin bei „Wir sind Europa!“. Foto: Elke A. Jung-Wolff