„Der Faszination für das Autoritäre die Rechtlichkeit der EU entgegenhalten“

EuGH-Präsident Koen Lenaerts warnt vor dem Demokratieabbau in manchen EU-Staaten. Die europäische Zukunft müsse von unten nach oben gestaltet werden.
Katharina Krüger

Von Katharina Krüger

In seiner Europa-Rede hat EuGH-Präsident Koen Lenaerts auf die Kraft des Rechts in der EU hingewiesen. „Der neuen Faszination für das Autoritäre, die überall in Europa Wurzeln schlägt, sollten wir immer und immer wieder die Rechtlichkeit der Union entgegenhalten“, sagte Lenaerts am 9. November in Berlin vor SchülerInnen, Studierenden, PolitikerInnen und weiteren geladenen Gästen (Video). “Der Demokratieabbau mancher Mitgliedsstaaten ist nicht nur ein Problem für die EU an sich. Er wirkt sich unmittelbar auch auf alle anderen Mitgliedsstaaten aus.”

Koen Lenaerts (Foto: Marco Urban)
EuGH-Präsident Koen Lenaerts

Am Europäischen Gerichtshof gehe es nicht darum, wie viel ein Staat in die EU einzahle, erklärte Lenaerts, sondern auf Grundlage der europäischen Werte Krieg durch Frieden zu ersetzen: „Sämtliche EU-Verträge gaben und geben dem Friedensprojekt eine Rechtsgrundlage, wie etwa das Verbot der Diskriminierung oder die Menschenwürde.“ Das Zusammenwirken der nationalen Gerichte und des EuGH sei dabei als Netzwerk zu verstehen, nicht wie eine Hierarchie: „Der EuGH hat keine Agenda, er setzt sich nicht einseitig für die EU oder für deren Mitgliedsstaaten ein, sondern für die Wahrung des Rechts.“

„Die Zukunft Europas liegt in der Hand der Jugendlichen“

Publikum der Europa-Rede (Foto:Marco Urban)
Die Europa-Rede findet jährlich am 9. November im Allianz-Forum in Berlin statt.

In der anschließenden Debatte ging Lenaerts auch auf Themen ein, die Berliner Jugendliche der Sophie-Scholl-Schule und des Montgolfier-Gymnasiums in „Wir sind Europa!“-Workshops vorab entwickelt hatten. So antwortete der belgische Rechtswissenschaftler auf die Frage, wie das EU-Recht in der Flüchtlingsfrage besser durchsetzbar sein könne: „Der EuGH ist in dieser Sache weniger aktiv, da die Lösung der Flüchtlingskrise an erster Stelle die Aufgabe der demokratisch gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Bevölkerung ist.“ Der EuGH weise in seinen Urteilen auf Lücken im System hin. Es sei Sache der EU-Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

Außerdem kam von den SchülerInnen die Frage, wie es nach Ansicht von Lenaerts mit der EU weitergehe. „Europa ist genauso stark wie die nationalen Demokratien“, antwortete der EuGH-Präsident darauf. „Die jungen Generationen müssen für sich ausmachen, wie sie miteinander leben wollen. Das muss ‚bottom up‘ kommen und nicht von einer Elite. Dort liegt die Zukunft Europas. Sie liegt nicht in meiner Hand, sondern in der der Jugendlichen.“

Fotos: Marco Urban Katharina Krüger ist freie Journalistin in Berlin und Mitglied der Projektkoordination von „Wir sind Europa!“. 

Die Europa-Rede findet jährlich am 9. November in Berlin statt, in Kooperation von Konrad-Adenauer-Stiftung, Stiftung Zukunft Berlin, Schwarzkopf Stiftung sowie “Wir sind Europa!”.