Von Katharina Ratzmann
Ernüchterung ist gar kein Ausdruck für das Gefühl, mit dem ich neulich abends nach einer Europa-Veranstaltung nach Hause gegangen bin. Auch wenn ich als Journalistin natürlich nicht auf Sensationen aus sein sollte, ein bisschen hatte ich gehofft, dass inhaltlich Fetzen fliegen. Vielleicht liegt das daran, dass das Format „Europa-Battle“ hieß. Organisiert hatte es die ZEIT-Stiftung, also die Stiftung einer der renommiertesten Zeitungen Deutschlands. Das „Europa-Battle“ war als große Auftaktveranstaltung zur Veranstaltung „Europa-Camp“ in Hamburg gedacht. Ein ganzes Wochenende lang haben sich Menschen dort mit der Europäischen Union auseinandergesetzt. Hitzige Debatten wären auch deshalb nicht abwegig gewesen, weil kurz vor der Europa-Wahl schließlich so einige Themen brennen: Beim Brexit ist immer noch nicht klar, ob es am Ende „Deal“ oder „No-Deal“ heißt; die europäischen Wirtschaftspolitiker müssen sich überlegen, wie sie mit Strafzöllen umgehen, die die amerikanische Regierung auf Exportprodukte verhängt und dann wäre da noch der immense Druck wegen des Klimawandels. Dieser treibt aktuell immerhin über Ländergrenzen hinweg eine ganz neue Jugendbewegung auf die Straße. Die beiden Kandidaten, die sich beim „Europa Battle“ gegenüberstanden, machten allerdings gar keine Anstalten, sich zu streiten. Der Spitzenkandidat der Grünen in Deutschland, Sven Giegold, machte gleich zu Anfang klar:
“Europa muss Battles überwinden und nicht neue schaffen.”
Sein Kontrahent, der ehemalige griechische Finanzminister und aktuelle Spitzenkandidat für DiEM25, Yanis Varoufakis, stimmte ihm dabei genauso gern zu wie in den allermeisten inhaltlichen Fragen. Pure Harmonie. Am Anfang fand ich es durchaus überraschend, dass das Duell so gar kein Schlagabtausch war. Ich kann auch verstehen, was Giegold wohl mit seiner Aussage meinte: Dass die Europa-Befürworter ein gemeinsames Gegengewicht gegen die Europagegner und Nationalisten bilden wollen. Bestimmt hat er Recht, wenn man Battle mit „Schlacht, Kampf oder Gefecht“ übersetzt. Ein bisschen mehr Wettstreit und Debatte hätten dem Abend aber wirklich nicht geschadet. Wem bringt es etwas, wenn zwei Politiker nebeneinander auf dem Podium stehen, die eigentlich die gleichen Positionen vertreten? Wie soll das dabei helfen, sich eine differenzierte Meinung zu bilden; sich an Themen so zu reiben, dass das Bedürfnis entsteht, am 26. Mai wählen zu gehen, um mitzuentscheiden, wie es in Europa weitergeht? Schön und gut, wenn die Motivation ist, dass bestimmte Parteien weniger Gewicht bekommen. Manche Wählerinnen und Wähler treibt es meinetwegen auch einfach vom Sofa hoch, für eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu sorgen – quasi als Selbstzweck, um zu zeigen, dass sie Demokratie an sich ja schon irgendwie ganz gut finden. Wäre es aber nicht erstrebenswerter, wenn Menschen aufhören, GEGEN etwas anzuwählen und sich stattdessen aktiv FÜR die Politik einer bestimmten Partei entscheiden? Dafür müssten Wählerinnen und Wähler allerdings wissen, wer überhaupt wofür steht. Und dazu tragen zwei Politiker, die sich kaum voneinander abgrenzen genauso wenig bei, wie inhaltsleere Wahlplakate. Ich hatte das Gefühl, die beiden Spitzenkandidaten haben an jenem Abend die sogenannte „Brüssel-Bubble“ einfach mit nach Hamburg geschleppt. Als die Moderatorin zum Ende der „Debatte“ ein kleines Stimmungsbild erheben wollte, beteiligte sich kaum jemand im Saal an der Abstimmung. Weder bei der Frage, wer denn jetzt wüsste, was er bei der Europawahl wählt, noch bei der Frage, wer noch unentschlossen sei, meldeten sich viele. Es kann schon sein, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer am späten Freitagabend schlicht müde von einer langen Woche waren. Gut möglich aber auch, dass den Anwesenden während der Veranstaltung einfach die Füße eingeschlafen sind. Man muss sich mal überlegen: Das waren alles Menschen, die sowieso schon einen Teil ihres Wochenendes freiwillig bei einer Europa-Veranstaltung verbringen. Viele Journalistinnen und Journalisten waren da, ein paar Studierende, ein paar interessierte Zeitungsleserinnen und -leser. Europa-Verdrossene habe ich dort nicht getroffen. Und zufällig, nur aus Neugierde, ist ganz sicher auch niemand auf dem Europa-Camp gelandet, gut versteckt in einem Hamburger Hinterhof. Auch deshalb sind solche Veranstaltungen natürlich schon in sich selbst eine Blase. Trotzdem war es interessant, sich zwischen den einzelnen Diskussionsrunden mit den Menschen vor Ort zu unterhalten und sie zu fragen, was sie an Europa schätzen und was sich aus ihrer Sicht dringend ändern muss.
“Cool an Europa finde ich, dass die Länder im Prinzip dazu gezwungen werden, durch ihre wirtschaftlichen Verbindungen keine Kriege gegeneinander zu führen.” (Brian, 31 Jahre)
Grenzenlosigkeit, Reisefreiheit, Austausch zwischen den Ländern, „Erasmus“ und Frieden – dafür steht Europa, sagten einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Europa-Camps, als wir uns für Wir sind Europa umgehört haben. Allerdings braucht es aus ihrer Sicht eine stärkere gemeinsame Wirtschaftspolitik, eine gemeinsame Position in der Flüchtlingsfrage und eine transparentere Kommunikation darüber, was einzelne Staaten zu entscheiden haben und was das Parlament in Brüssel entscheidet. Auch hier sind wir kaum auf Ansichten gestoßen, die wirklich gegensätzlich waren, aber immerhin hatten die Europa-Befürworterinnen und -befürworter, die bei der Veranstaltung waren, eine klare Vorstellung davon, was sie von der Europäischen Union wollen. Ein bisschen Reibung gab’s dann zum Schluss aber doch noch. Ein Raunen ging durch das Publikum, als Jan Techau vom German Marshall Fund sagte, die AfD gebe ihm Hoffnung. Nicht wegen ihrer Inhalte, sondern weil sie die anderen Parteien zwinge, ihre Hausaufgaben wieder besser zu machen. Es gebe viele Länder, in denen es nicht möglich sei, dass eine Partei ins Parlament kommt, die sich so stark von der übrigen politischen Landschaft unterscheide. Als Beispiele nannte er China und Russland. Ob man nun zustimmen mag, dass populistische Parteien in Europa die Demokratie befeuern, oder nicht – wenn Veranstaltungen wie das „Europa-Camp“ zum Diskutieren anregen, wenn es nur ein, zwei Gedanken sind, die Besucherinnen und Besucher solcher Konferenzen auf dem Nachhauseweg im Kopf hin und herwälzen, wenn es ein, zwei Dinge gibt, die sie kurz im Internet nachschauen müssen, und ein paar, die sie mit anderen Menschen diskutieren – dann sind „Europa-Veranstaltungen“ am Ende doch noch zu etwas gut. Wenn die Menschen jetzt noch hinterher wüssten, wer für welche Politik steht und was sie deshalb wählen möchten.
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Katharina Ratzmann arbeitet als freie Redakteurin in Hamburg.